AlpenX100 - Laufen am Limit

Wie weit bin ich bereit zu gehen?

Der AlpenX100 (161km, 9224 Höhenmeter) sollte mein Laufhighlight 2016 werden.

Am regnerischen Mittag treffe ich in Seefeld ein und treffe auf der Pasta-Party erstmal einige bekannte Gesichter. Insbesondere mein Zimmernachbar vom 100km del Sahara (Jens) kommt direkt auf mich zu.

Das war ein schönes Wiedersehen!

Zum Abend hin begegne ich dem ehemaligem Olympia-Zweiten Peter Schlickenrieder auf dem Parkplatz und ein nettes "Servus" wird ausgetauscht. Zeit fürs Briefing und so langsam wird es ernst: noch drei Stunden bis zum Start.

Danach gebe ich noch schnell meine beiden Dropbags ab und fokussiere mich langsam auf die anstehende Mammutaufgabe.

Nach der Materialkontrolle wird der Regen wieder stärker und ich darf mich hinter der netten Kontrolleurin ins Trockene stellen. Kurzfristig entscheide ich mich fünf Minuten vor dem Start doch mit der Regenjacke loszulaufen.

 

Um 22 Uhr beginnt die Hatz

Und dann geht es mit "Highway to hell" endlich los. Zunächst durch das nasse Seefeld und der letzte Jubel der Zuschauer entlässt uns in die dunklen Wälder.

Nach knapp Kilometern blicke ich mal über die Schulter zurück und sehe kein einziges Licht - was ??? Bin ich Letzter? Das kann doch eigentlich nicht sein.

Der Weg ist sehr , sehr lang. Also nur die Ruhe bewahren!

Im lockeren Trab geht es nun bergab. Die Regenjacke verschwindet wieder im Rucksack und ich orientiere mich an den beiden Schweizern vor mir.

Als wir in Eigenhofen (km 7) einlaufen, verpassen wir eine Wegmarkierung und landen in einer Sackgasse. Ein empörter Anwohner erscheint am Fenster und brüllt uns aus dem Fenster an: "Was läuft Ihr da rum. Ich rufe gleich die Polizei".

Na, das ist doch mal eine Begrüßung! Wieder auf der richtigen Strecke geht es nun flach dahin und ich kämpfe mit meinem Trinksystem. Aus unerklärlichen Gründen kommt aus meinem Trinkschlauch nichts raus. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

Nun sind hinter mir auch wieder einzelne Lampen zu sehen. Alles andere hätte mich auch stark gewundert. Aber meine Gedanken sind beim Trinkproblem. Ausserdem dem Trinksystem habe ich nur 250ml zur Verfügung, verdammter Mist. Das ist viel zu wenig.

Deshalb werfe ich jetzt in meiner Not unterwegs einen Blick in jeden Mülleimer, ob ich eine PET-Flasche finde.

Leider vergebens. Nach einem unter Wasser stehenden Tunnel gibt es keinen nennenswertes Hindernis mehr bis zum ersten Verpflegungsstand in Kematen (km 15).

50 Minuten schneller als das Zeitlimit. Läuft!

 

Kematen - Axamer Lizum: wo ist der Weg?

An der VP bekomme ich netterweise eine PET-Flasche und sollte damit das Trinkproblem los sein.

Vier Läufer liegen noch hinter mir und erreichen nun alle die Versorgungsstation.

Jetzt wird es steil - 1100 Höhenmeter auf 10 Kilometern sollen folgen.

Der erste Teil geht noch auf breiten Wegen bis ein kleiner Ort erreicht wird.

Die beiden Schweizer sind knapp vor mir. Noch kann ich ihren Lichtschein vor mir ausmachen.

Jetzt geht es auf einen Wanderweg und es wird richtig steil. Ich überhole eine Frau, die am Baum lehnt und versucht wieder zu Luft zu kommen. Auf allen Vieren kämpfe ich mich aufwärts. Alle fünf Meter muss ich nach dem Weg in völliger Dunkelheit nach dem Weg schauen. Den Vorsprung auf die hinter mir liegenden baue ich kontinuierlich aus.

Dann kommt eine gerodete Lichtung und es gibt keine Markierungen mehr. Was soll ich tun? Vor mir nichts und hinter mir keiner. Nach fünf Minuten Sucherei entscheide ich mich dem rot-weiß-roten Weg zu folgen und bin heilfroh als ich 15 Minuten später eine orangene Markierung am Baum entdecke. Puh, ich bin richtig!

Oder doch nicht??? Über eine sehr, sehr lange Zeit folgt keine weitere Markierung und mir läuft die Zeit davon. Ich müsste doch längst am nächsten VP sein. Als ich kurz davor bin die Rennleitung anzurufen, kommen wieder Markierungen und um 4 Uhr bin ich endlich da.

Nur noch 30 Minuten Vorsprung aufs Zeitlimit. Mist!

 

Axamer Lizum - Medraz: wie die Zeit vergeht!

Nach einer Minute Pause geht es sofort weiter.

20 Minuten liegen die beiden Schweizer vor mir und ich kann deren Lichter weit über mir erkennen.

Durchschnittlich 25% Steigung auf den nächsten zwei Kilometern zum Halsl - das wird lustig.

Der Weg ist jetzt wieder gut ausgeschildert, aber im Dunkeln muss man trotzdem immer wieder schauen, wo es weitergeht.

Jetzt folgen 1200 Meter bergab auf 12 Kilometern. Schnell schließen zwei Personen von hinten zu mir auf. Es wird nun endlich hell.

Das gibt neue Energie und die Stirnlampe kann weg.

Wie sich herausstellt sind die beiden Männer die Streckenposten, die die Markierungen abbauen. Alle hinter mir liegenden haben bereits aufgegeben.

"Aber Du liegst gut in der Zeit", sagt mir der nette Mann. Wir werden die nächsten Kilometer zusammenlaufen und uns anspornen.

Sie haben die Vermutung, dass zwei Jäger auf dem vorigen Stück sehr viele Markierungen entfernt hatten.

Bis auf eine heikle Stelle, wo der Regen den Weg ausgewaschen hat, geht es gut und flott voran. Ich rechne fest damit Zeit auf das Limit rauszulaufen, aber es sollte ganz, ganz anders kommen.

Irgendwann frage ich meine Begleiter mal, wie weit es noch ist. "2,8 Kilometer".

Wie auch immer das möglich ist, aber ich bin kurz vor dem Ausscheiden. Jetzt gibt es kein Halten mehr. So will ich nicht ausscheiden.

Und so hole ich tatsächlich noch die Schweizer ein, die die Zeitnot auch nicht wirklich verstehen können.

Jetzt wird gemeinsam gerannt und um 7:42h wird die Verpflegungsstelle erreicht.

3 Minuten Vorsprung aufs Zeitlimit. Das war knapp!

 

 

Medraz - Blaserhütte: jetzt gegen die Uhr

Eine Minute Pause zum Essen und Trinken und dann geht es sofort weiter.

Jetzt ist mir richtig warm und die Regenhose landet im Rucksack. 1400 Höhenmeter auf 10,3km .

Ein Offizieller gibt mir noch mit auf dem Weg: "Wer hier mit Zeitproblemen ankommt, kann die Blaserhütte kaum noch schaffen".

Aber ich will es versuchen!

Mir geht es noch zu gut um jetzt einfach die Segel zu streichen.

Unterwegs wird mir klar, warum der Trinkschlauch blockiert hat: zwischen Tagegurt und Schulter hatte sich ein Knick im Schlauch gebildet.

Ich rechne damit, dass von hinten die beiden Schweizer wieder zu mir aufschliessen werden, aber nach einer guten Stunden erreichen mich die neuen Streckenaufräumer - auch die Schweizer haben aufgegeben.

Gemeinsam geht es stetig bergauf und um 10.45h ist die Heilquelle bei Maria Waldrast erreicht. Ein kurzer Schluck, vielleicht hilft es ja. 2,7km und 650 Höhenmeter sind es noch.

Das macht durchschnittlich 24 Prozent Steigung.

Nicht drüber nachdenken. Einfach weiter.

Weit über mir sehe ich die orangenen Markierungen. Sehr beeindruckend steil geht es bergauf.

Oben auf dem Kamm herrscht sehr starker Wind und um 11.03h bin ich im Nebel an der Verpflegung.

3 Minuten zu langsam!

Der Wettkampf ist für mich nach 49 Kilometern und 3113 Höhenmetern beendet.

Körperlich habe ich alles gegeben, aber sicherlich eine falsche Taktik gewählt. Ich werde daraus lernen!

 

 

 

Nur wenigen Helden kommen durch

An der Blaserhütte ist es empfindlich kalt. Einige Wanderer sind erstaunt, wie gut es mir geht. Grundsätzlich bin ich mit meiner Leistung auch nicht unzufrieden, aber ich habe die Zeittabelle falsch interpretiert und werde hoffentlich daraus lernen.

Gemeinsam mit anderen Läufern bringt uns die Bergwacht nach Steinach und schließlich  nach Brixen. Dort herrscht tolles Wetter und wir genießen entspannt, wie die ersten Finisher der kürzeren Distanzen ankommen.

Iker Karrera wird seiner Favoritenrolle gerecht und gewinnt die Langdistanz unter 26 Stunden.

Insgesamt gibt es nur 59 Männer und 2 Frauen, die dieses Mammutrennen erfolgreich finishen können!

Was unterstricht, dass es sicherlich der schwierigste 100Meiler der Alpen ist.

Bei einem Abendessen auf dem Brixener Domplatz heissen wir die letzten Finisher willkommen. Nach 47:17h ist das Rennen offiziell beendet und die Erstausgabe der ultimativen Herausforderung in den Alpen beendet.