Wer etwas auf sich hält in dieser Welt, der läuft von Eisenach nach Schmiedefeld

Hinweis: die Fotos sind ganz unten auf der Seite

 

So lautet das Motto des Rennsteig Supermarathons. Am 16.Mai fand sich die Ultramarathon-Gemeinde in Thüringen ein, um sich den 72,7km mit insgesamt fast 2500 Höhenmetern (ca. 1500m hoch und etwa 1000m runter) zu stellen.

 

Bereits am Vortrag reiste ich früh aus dem Ruhrgebiet an, um mir die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Zuerst ging es zur Wartburg, Deutschlands berühmteste Burg und Unesco Weltkulturerbe. Da sie in Sichtweite von Eisenach liegt, erfuhr ich bei einer schönen Führung eine Menge Geschichte und Geschichten über die heilige Elisabeth, Martin Luther und das Thüringer Land.

 

Eisenach und seine 60.000 Einwohner hatten sich herausgeputzt, um die Läuferschar gebührend zu empfangen. Warum der Rennsteiglauf im letzten Jahr in Europa auf Platz 1 der Wertungen "Landschaftslauf" und "Ultramarathon" gelandet ist, bekam ich dann spätestens im Wettkampfbüro zu spüren. Alles war toll organisiert und jeder Läufer bekommt für sein Geld eine Menge geboten. Angefangen von der Kloßparty, über die Unterbringung im Elisabeth-Gymnasium bis hin zum Shuttle-Service blieben keine Wünsche offen.

 

Gegen 20h fuhr ich nach der obligatorischen Kloßparty zurück ins Massenlager. Noch blieben 10 Stunden bis zum Start und die Spannung war schon zum Greifen nahe. Fast jeder war nur noch mit sich selber beschäftigt und voll fokussiert auf dem langen morgigen Tag.

   

Die letzten Stunden vor dem Start

Wenn man sich mit über zehn Leuten ein Zimmer teilt, kann der Schlaf nur unzureichend sein. Um 3.15h stand der erste auf und gegen 4.15h bin auch ich mit den letzten aufgestanden.

Die folgende Punkte (Packen, Essen, Fertig machen) laufen dann schon automatisch ab. Bei mir klappt alles reibungslos und ich werde pünktlich fertig.

Seit 4.30h fahren unermüdlich Pendelbusse die Läufer zum Start und so komme auch ich gegen 5.35h am Markt an. In der Nacht hatte es noch heftig geregnet, doch nun ist der Himmel nur noch wolkenverhangen. 11°C und mässiger Regen sind angesagt. Ich habe mich trotzdem für T-Shirt und kurze Hose als Wettkampfkleidung entschieden.

Während die letzten Minuten verstreichen, frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Um mich herum sehe ich fast nur Leute, die älter oder viel älter als ich bin. Sie tragen Shirts von vergangenen Taten, z.B. Biel 100km-Finisher oder Club 100 Deutschland. Diese Veteranen haben viele Zehntausende Trainigskilometer mehr als ich in den Beinen.

Über dem Markt kreist ein Hubschrauber und der Sprecher stellt die Läufer vor, die bereits zum 20mal oder häufiger teilnehmen. 

Mir ist mulmig zumute, wenn ich daran denke, dass ich wegen meines Knies kaum trainieren konnte. Ähnlich wie beim Jungfrau Marathon des Vorjahres kann es für mich nur darum gehen, irgendwie im Zeitlimit zu bleiben und nach Möglichkeit nicht Letzter zu werden.

Mit den Worten "wir sehen uns alle lebend und gesund in Schmiedefeld wieder", gehts es auf die Strecke. Ja, denke ich, genauso ist es!

Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Option

Nach einer kurzen Runde durch Eisenach geht es steil bergan. Die Wege sind durch den Regen total matschig. Schön ist was anderes. Vor mir liegen fast 73km durch den Thüringer Wald - eine unvorstellbare Strecke. Bei km7,4 stossen wir auf den Original Rennsteig. Die Zuschauer jubeln und der MDR filmt eine Reportage für die Nachrichten.

So zieht der Lauf dahin. Ab Kilometer10 kommt nur noch in 5km-Abständen ein Hinweisschild, damit man grob weiss, wie weit man schon gekommen ist. Jeder Läufer versucht seinen eigenen Rhythmus zu finden. Ich mache bewusst kleine Schritte mit ganz geringem Kniehub um die Knie zu entlasten. Die grösseren Ansteige sind nur gehend zu machen, was eine kurze Erholung bringt. Mit dem Inselsberg bei km25,5 ist der erste Hochpunkt erreicht. Er liegt im ziemlichen Nebel und auf den nächsten 1,3km geht es 200m runter. Ich gehe langsam, aber meine Oberschenkel finden das gar nicht lustig. So stark ich bergauf bin, bergab fehlt mir eindeutig das Training.

Bei km30 komme ich in 3:36h durch. Ein Nachbarläufer hat den gleichen Gedanken wie ich, "jetzt noch einen Marathon und wir sind durch. Ich schauen, ob ich ihn in 4:30h bis 4:40h schaffe".

Ok, mir reicht es schon, wenn ich irgendwie durchkomme.

Der Ultraläufer ist eine besondere Spezie. Alle Laufstile sind vertreten. Der Eine grunzt alle drei Schritte wie ein aufgebrachtes Nashorn, der nächste redet beim Laufen wie ein Wasserfall. Aber nett sind sie alle.

Die Marathondistanz durchlaufe ich etwa in 5:10h. Alle 5-6 km gibt es einen Getränke- oder Verpflegungsstand. Den legendären warmen Schleim gibt es in den Geschmacksrichtungen Heidelbeere und Orange, ansonsten reichlich Obst, warmen Tee, Vita-Cola und Fettbrote.

Lediglich die Bockwürstchen lasse ich links liegen. Das ist mir doch ein bisschen zu heikel.

Bei km54 erreiche ich den Grenzadler. Hier besteht die erste Möglichkeit auszusteigen. Nun geht es schon deutlich schwerer. Ich liege etwa 100 Minuten unter dem Zeitlimit und registriere den ersten Läufer, die sich behandeln lassen. Nun überhole ich immer wieder Wanderer. Das gibt Selbstvertrauen und macht Mut.

Ich wollte, ich könnte berichten, dass die letzten 19km ein einziger Rausch gewesen sind, aber in Wirklichkeit werden sie zu einer einzigen Tortur. Es geht sehr zäh und komme fast nur noch gehend vorwärts. Kurz vor dem 60km-Schild überholt mich Erwin Bittel mit Julio im Schlepptau. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich bin fast 60km lang vor Erwin gewesen, Donnerwetter! Die Freude wärt nur kurz, denn im lockeren Laufschritt erklimmt mit Erwin mit seinem Cowboyhut die nächste Steigung als wäre es bisher nichts gewesen. Da merkt man, wer der Profi ist. Ich denke, bis zum Ziel habe ich mir sicher über einer Stunde Rückstand eingehandelt. Aber ich kann und will jetzt auch nicht noch Krämpfe riskieren.

Durch den zugigen Wind wird mir nun auch noch kalt. Aus unerklärlichen Gründen lässt Schmiedefeld verdammt lang auf sich warten. Schliesslich kommt das Schild "km 71" und ich kann den Lautsprecher hören. Mann, bin ich platt. Alle Akkus laufen auf totaler Reserve als ich auf die Zielgerade einlaufe. Mit Riesentamtam werde ich begrüsst, als wäre ich der Führende. Die letzten Meter vergesse ich kurzfristig alle Schmerzen und geniesse den totalen Triumph.

10:12:06h steht auf meiner Stoppuhr, als ich jubelnd die Arme hochreisse.

Wer hätte das gedacht, ich habe es wirklich geschafft und mich selber besiegt.

 

Im Ziel folgen die üblichen Rituale. Gepäcksuche, Trinken, Siegesfotos und Check der Blessuren.

Vermutlich niemand unbeschadet durch einen Ultramarathon. Mir ergeht es natürlich nicht besser. Der Trinkgürtel hat am unteren Rücken und der Hüfte unschöne Hautreizungen hinterlassen. Der linke Fuss hat eine üble Druckstelle am Mittelfussknochen, denn durch das Anschwellen der Fusses ist die Schnürung zu eng geworden. Während des Laufes dachte ich noch, es könnte ein Ermüdungsbruch sein, doch das hat sich nicht bestätigt.

Beide Knie sind dick geschwollen und durch die Belastung weit jenseits einer üblichen Überanstregung. Naja, das wird schon wieder werden!

Dass ich in 25 Tagen im Rahmen einer Charity-Aktion mit dem Fahrrad über die Alpen fahren will, erscheint mir so wahrscheinlich wie eine baldige Meisterschaft von Schalke. Zur Zeit schaffe ich es kaum ins Badezimmer, da erscheint die Route Mailand-St. Gotthardt-Basel-Mainz-Düsseldorf abwegig. Aber noch ist ja etwas Zeit zur Regeneration.

Die einstündige Rückfahrt im Bus nach Eisenach ist durch angenehme Erschöpfung gekennzeichnet. Viele hängen ihren Gedanken nach, andere schlafen. Heute sind wir alle Sieger!

Ich entschliesse mich noch am selben Abend ins Ruhrgebiet zurückzufahren. Der Thüringer Wald mit seinen idealen Trainigsmöglichkeiten begleitet mich noch ein Stück des Heimweges. Schön ist es gewesen in Deutschlands grüner Mitte. Aus den Boxen brummt der Bass. In diesem Jahr werde ich ganz sicher keinen Ultra mehr laufen, aber vielleicht im nächsten Jahr. So ein paar Klassiker gibt es schon noch zu erobern.

 

Ultra-Läufer Martin. Wie hört sich das an? Noch ist es ungewohnt und ganz frisch. Doch es hört sich toll an! Ultra-Läufer Martin.

 

Alle Fotos vom Rennsteiglauf gibt es auf der Bilderseite - hier entlang.